Editorial von Cornel Blöchlinger

Editorial von Cornel Blöchlinger

Neutralität – Fluch oder Segen für unser Land?

Seit dem 2. Weltkrieg wurde unsere Neu­tral­ität nie mehr so auf die Probe gestellt wie in dieser Zeit des Krieges zwis­chen Rus­s­land und der Ukraine. Wie damals haben wir einen Angreifer, welch­er noch mehr Land will und einen Ange­grif­f­e­nen, welch­er sein Land vertei­digt. Wie damals ist es eigentlich klar, für welche Seite man einsteht. 

Wie soll sich die Schweiz in diesem Kon­flikt ver­hal­ten? Ist die Neu­tral­ität ein alter Zopf, welch­er abgeschnit­ten gehört? Auf ein­er Seite mit befre­un­de­ten Staat­en gegen Aggres­soren zu sein, welche unsere Werte nicht teilen, ist das nicht eine gute Sache?

Die Erfahrung zeigt ein anderes Bild.

Die Schweiz ist keine wirtschaftliche oder poli­tis­che Macht, wie es die
G7-Staat­en Deutsch­land, Frankre­ich, Ital­ien, Japan, Kana­da , das Vere­inigte Kön­i­gre­ich und die Vere­inigten Staat­en sind. Wir kön­nen somit nicht Druck auf andere Staat­en ausüben, um poli­tisch Ein­fluss zu nehmen.

Unsere Rolle mit dem weltweit anerkan­nten IKRK ist eine andere; näm­lich in kriegerischen Kon­flik­ten als neu­trales Land ver­mit­teln und Not lin­dern. Dies hat sich seit 1815 bewährt, als die schweiz­erische Neu­tral­ität erst­mals völk­er­rechtlich anerkan­nt bzw. 1863 als das rote Kreuz in Genf gegrün­det wurde. Nach dem Mot­to «entwed­er mit oder gegen uns» wird aber in let­zter Zeit viel poli­tis­ch­er Druck von unseren befre­un­de­ten Staat­en auf unser Land ausgeübt.

Wieso ist das so? Ver­ste­hen die ange­blichen Part­ner unsere Rolle nicht mehr? Oder ist das dem Zeit­geist geschuldet?

Hal­tung gegen «Zeit­geist»
In unser­er schnel­llebi­gen und dig­i­tal­en Zeit ist es heute wichtiger als früher, mit den Part­nern zu kom­mu­nizieren und Hal­tun­gen zu erk­lären. Heute ist vieles nicht mehr selb­stver­ständlich, was früher allen klar war. Die Zeit­en ändern sich.

Eine wichtige Auf­gabe des Bun­desrates ist es, eine klare Hal­tung einzunehmen und diese Hal­tung der Schweiz den Entschei­dungsträgern der aus­ländis­chen Poli­tik klar zu machen. Zurzeit ver­ste­ht man das Han­deln des Bun­desrates auch im Inland kaum.

Auf der einen Seite schliesst sich die Schweiz den Sank­tio­nen der Europäis­chen Union gegen Rus­s­land an und auf der anderen Seite kann Kriegs­ma­te­r­i­al, welch­es aus der Schweiz stammt, nicht an die Ukraine weit­ergeleit­et wer­den. Man kann nicht ein biss­chen neu­tral sein. Es gibt hier nur schwarz oder weiss. Entwed­er ist man neu­tral oder nicht.

Es wäre wün­schenswert, dass Friedensver­hand­lun­gen in Zukun­ft wieder in der Schweiz stat­tfind­en kön­nen und nicht wie unlängst in Israel, in der Türkei, in Däne­mark oder Saudi-Arabien.

Autor:

Cor­nel Blöchlinger
Präsi­dent VCU Linth