Konstruktive Gedanken zu heute oder warum eine Absage keine Alternative ist
«Angesichts des Nicht-Wissens in der aktuellen Krise sollten wir vorsichtig und bescheiden, ja demütig bleiben.» Dies war einer der Kernsätze von Odilo Noti im schriftlich geführten Interview vom 26. März 2020. Dieses schriftliche
Gespräch ersetzte seinen Fastenvortrag im gemeinsam mit dem Club Felix
(Zürich) geplanten Anlass.
Damit habe ich bereits einige Fakten angedeutet, die uns gerade nur zu wohl bekannt sind. Seit März 2020 ist auch bei uns die Welt nicht mehr, wie sie war. Doch bei der VCU Zürich galt von allem Anfang an: Eine Absage ist keine Alternative. Wir haben in diesem Jahr bisher mehr Anlässe und Aktivitäten denn normalerweise durchgeführt. Darauf bin ich wirklich stolz.
Das Wort hat der Theologe
Der Theologe Odilo Noti (geboren 1953) war viele Jahre für die Kommunikation und das Marketing bei der Caritas Schweiz verantwortlich. Heute ist er unter anderem Präsident der Stiftung Weltethos Schweiz. Entsprechend gross war unsere Vorfreude auf den gemeinsam mit dem Club Felix geplanten Fastenanlass. Es sollte nicht sein. Gerne zitiere ich dafür folgende Sätze aus diesem schriftlichen Gespräch mit Dr. theol. Odilo Noti:
«Wir sollten zwischen Angst und Panik unterscheiden. Die Panik ist ein schlechter Ratgeber. Sie ist der Ausdruck von Kopflosigkeit. Darum hamstern Leute Toilettenpapier. Angst ist dagegen Ausdruck des Überlebensinstinktes und insofern vernünftig. Ohne Angst renne ich ins Verderben. Wenn ich mich ängstige, bin ich vorsichtig und achtsam.»
Und wenige Sätze später schrieb er:
«In der Schweiz wie in Deutschland ist die übergrosse Mehrheit der Auffassung, dass die Krise nur durch die Massnahmen der öffentlichen Hand bewältigt werden kann. An die Selbstheilungskräfte des Marktes glaubt eigentlich niemand… Der Neoliberalismus erfährt also seinen Karfreitag — die soziale Marktwirtschaft dagegen ihre österliche Auferstehung. Das sollte uns aus der Perspektive der christlichen Sozialverkündigung freuen.»
Das Wort hat die Philosophin
Am 26. Mai organisierten wir — anstelle eines realen Anlasses — ein Gespräch mit der Schweizer Philosophin Ursula Renz (1967), das wir mittels einer Videokonferenz für Mitglieder aller VCU Regionen zugänglich machten. Obwohl virtuell war es in diesem Jahr die bis jetzt bestbesuchte Veranstaltung. Aus gutem Grund! In diesem philosophischen Feierabendgespräch erinnerte Professor Renz unter an-derem an die Philosophen Michel de Montaigne (1533–1592) und Baruch Spinoza (1632–1677). Sie halten uns unterschiedliche und doch fast identische Botschaften bereit.
Für Montaigne war das Leben ein Glücksfall und jedes Jahr nach dem 35. Geburtstag (!) ein geschenktes Jahr. Baruch Spinoza wiederum hatte sich wie kein Zweiter mit Fragen der Krise und der Brüche auseinandergesetzt. Die «grassierende Unvernunft» (so Renz in einem Essay über Spinoza in der NZZ vom 27. März 2020) führte Spinoza darauf zurück, dass die Menschen, wenn sie ihre Angelegenheiten nicht nach einem bestimmten Plan ausführen können, oder wenn ihnen das Glück nicht günstig ist, bald im Banne des Aberglaubens stehen. Frau Renz kommentierte dazu:
«Was Spinoza hier sagt, ist lapidar, aber von enormer Tragweite: Es ist den Menschen nicht gegeben, ihr Leben immer nach einem bestimmen, sicheren Plan zu führen. Denn unser Wissen ist begrenzt. Das allerdings nicht etwa deshalb, weil unser Verstand schwach wäre, sondern weil wir die Gesetzmässigkeiten, denen viele Dinge unterliegen, noch nicht alle erkannt haben.»
Aus dem Gespräch mit Frau Renz nahm
ich deshalb ganz besonders mit, dass die Philosophie uns dazu einlädt, langsamer, bewusster, differenzierter und rationaler zu unseren Schlüssen zu
kommen. Das waren für mich die Schlüsselbotschaft des Gesprächs.
Das Wort hat der Leadership Trainer
Am 25. August führten wir unser erstes TimeOut (Businesslunch) nach den Sommerferien durch. Mit unserem langjährigen und bestens bekannten VCU-Mitglied Christian A. Herbst (1965) luden wir eine Persönlichkeit ein, die sich in Sachen Führung und neues Denken bestens auskennt. Er sprach uns ins Gewissen, jetzt die Chance nicht zu verpassen, unsere Denkmodelle und Führungsstrukturen an die neue Normalität anzupassen. Ich zitiere hier aus einem Blog auf seiner Homepage:
«Oft öffnet sich durch ein gewisses «Chaos» ein Fenster für tiefgreifende Veränderung. Schon bald kommen die «alten Mächte» zurück und das Fenster schliesst sich. Deshalb ist es so wichtig jetzt zu handeln. Doch Achtung: ein 10 Punkte Plan, den ein Berater für Sie erstellt, kann nicht nachhaltig sein. Die Antworten liegen nicht ausserhalb Ihrer Organisation, sondern direkt vor Ihrer «Nase». Sie, Ihre Kollegen und Mitarbeiter tragen den Wissensschatz bereits in sich. Der «Schatz» muss nur noch gehoben werden.»
Das Wort hat der Präsident
Als Präsident der VCU Zürich kann ich nur dankbar auf diese und weitere Anlässe zurückblicken. Persönlich freute mich besonders, dass die so oft geschmähten Geisteswissenschaften wieder gefragter waren. Gewiss, wer gerade jahrelange Aufbauarbeit in Frage gestellt sieht und wem die persönliche, existenzsichernde Grundlage abhandenkommt, dem ist kaum zum Philosophieren zumute.
Und dennoch: Wann, wenn nicht jetzt, wollen wir als Gesellschaft und als Individuum Fragen nach unserem Sein, nach Sinn und Sinnhaftigkeit unserer Existenz, nach dem Wertvollen und Bleibenden im Leben den dafür notwendigen Raum geben? Mehr denn je war für mich die VCU ein Ort, wom ich Gedanken austauschen und Impulse empfangen konnte. Und dies im Kreis von reflektierten und klugen Menschen. Tragen wir weiterhin Sorge dazu.
p.s. Sie finden weitere Informationen zu den hier erwähnten Referaten auf www.vcu-zh.ch.