«Bei Steuerfragen geht es auch um einen ‚fairen‘ Umgang mit Leistungen.»


Ein «heisser Stuhl» war der historische Sessel im Zunfthaus zum Grünen Glas sicher nicht. Trotzdem hätten wir Julia von Ah noch lange zuhören können. Das nicht ganz einfache Thema «Ethisches und Unethisches zum Thema Steuern und Steueroptimierung» kreiste sie mit sichtlichem Vergnügen, hoher Fachkompetenz und grosser Empathie aus verschiedenen Blickwinkeln und Perspektiven ein. Dabei wurde vor allem eines deutlich: Es geht (fast) nie um schwarz oder weiss.

Passend zur Jahreszeit, jetzt werden die Mahnungen verschickt, fand Willy Bischofberger in Prof. Dr. oec. publ. Julia von Ah eine kompetente Expertin zum oben erwähnten Thema. Sie ist diplomierte Steuerexpertin mit eigener Beratungsfirma in Zürich, Vizepräsidentin des Instituts für Schweizerisches und Internationales Steuerrecht (ISIS) und Mitglied von dessen Geschäfts-leitungsausschuss. Dass sie als doktorierte Ökonomin beim Steuerrecht landete, ist ihrem Interesse an beiden Fachrichtungen geschuldet. Schon während des Wirtschaftsstudiums besuchte sie mit solchem Engagement Vorlesungen zum Steuerrecht, dass ihr eine Assistentinnenstelle angeboten wurde, welche ihre lebenslange Begeisterung für dieses vielfältige Themengebiet – «es braucht viel Verständnis für wirtschaftliche und unternehmerische Zusammenhänge» – erst recht festigte.

Höhere Internationalität – höhere Komplexität

Es ist nicht möglich, dem lebhaften und spannenden Gespräch in einem kurzen Beitrag gerecht zu werden. Deshalb, eher im Sinne eines persönlichen Merkzettels, einige Beobachtungen:

  • „Fairness“: Bei vielen Steuerfragen geht es nicht oder nicht nur um Geld, es geht auch um einen „fairen“ Umgang mit eigenen und fremden Leistungen und es geht um eine faire Besteuerung entsprechend der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. „Fairness“, subjektiv verstanden, ist auch wichtig dafür, dass ein Steuersystems von den Steuerpflichtigen akzeptiert wird. Ein akzeptiertes Steuersystem führt zu weniger Steuervermeidungsstrategien.
  • Interessen verstehen: Es geht um Menschen, es geht um Institutionen wie Kantone oder Länder, welche wiederum von Menschen geprägt werden. Die Interessenlagen sind unterschiedlich, aber nicht immer gegensätzlich. Für gute Lösungen braucht es gute Gespräche mit und nach allen Seiten.
  • Komplexität: Analog zu unserer Welt generell sind steuerliche Fragen internationaler und komplexer geworden. Die Internationalität bezieht sich sowohl auf Unternehmen wie auf Personen, zum Beispiel auf familiäre und eheliche Beziehungen mit unterschiedlichen Wohnsitzstaaten, was immer auch heisst, dass unterschiedliche Rechtssysteme und –verständnisse in Betracht gezogen werden müssen.

«Für jeden Kunden die passende Beraterin»

So weit, so gut, aber was bedeutet das für die Ethik? Als Julia von Ah zu Beginn 2011 ihr eigenes Steuerberatungsbüro eröffnete, hörte sie oft, dass es für jeden Kunden die passende Beraterin/den passenden Berater gebe. Damals war sie davon nicht überzeugt, heute sieht sie das anders. Zu Beginn einer Beratung gehe es darum, den Klienten kennenzulernen, seine Beweggründe, Denkweise, Wertesystem und Ziele zu verstehen. Wenn sie merke, dass Klientinnen oder Klienten eine versteckte Agenda hätten oder eine andere Auffassung von Wahrheit hätten, schaue sie, dass diese sich eine andere Beratung zu suchen. Als konkretes Beispiel nennt sie auf Nachfrage das Vorschieben einer  Scheidung, obwohl keine Absicht für eine tatsächliche Trennung vorliegt, nur um Nachteile der Familienbesteuerung zu vermeiden.

Handlungsspielräume gebe es nicht nur für Personen und Unternehmen, sondern auch für die steuererhebenden öffentlichen Haushalte, Kantone oder Länder. Sie versteht die legitimen Interessen der öffentlichen Hand, Fiskaleinnahmen für das Funktionieren des Gemeinwesens zu generieren und begrüsst gerade deshalb den kantonalen Steuerwettbewerb in der Schweiz, weil er tendenziell dazu führt, dass die Kantone möglichst effizient mit ihren Einnahmen umgehen, dass der Steuerpflichtige eine Wahl habe, wo er sich niederlasse oder sein Unternehmen begründe und weil der Wettbewerb auch gewisse massgeschneiderte Verhandlungslösungen erleichtert. Steuerrecht hat viel mit Kommunikation und Verhandlung zu tun, nicht nur mit Zahlen, wie man landläufig im ersten Moment denkt. Sie will für beide Seiten eine kompetente und verlässliche Verhandlungspartnerin sein, denn nur so könne man langfristig auch erfolgreich zusammenarbeiten.

«Darf der Kanton das?»

Die Möglichkeit zur Fragerunde wurde auch diesmal ausgeschöpft und die aufgeworfenen Fragen und die Schilderungen eigener Erfahrungen verdeutlichten, wie persönlich und belastend Steuerfragen gerade im Zusammenhang mit Erbschaften und Firmenübergaben sein können. So wird im Kanton Zürich ab 2025 erstmals seit 2009 der Eigenmietwert neu berechnet. Ein Thema, das aus gutem Grund auch viele unserer VCU-Mitglieder beschäftigt und deshalb sowohl in der Fragerunde als auch beim Mittagessen zur Sprache kam. «Ja, der Kanton Zürich darf das», antwortete Julia von Ah auf eine entsprechende Frage. Es sei sogar eher ungewöhnlich, dass die letzte Neubewertung des Eigenmietwerts bereits 15 Jahre zurückliege, und zeigte an einem konkreten Beispiel auf, dass andere Kantone in der jüngeren Vergangenheit substanziell höhere Neubewertungen gemacht haben.

Mit lang anhaltendem Applaus verdankten die anwesenden VCU-Mitglieder und Gäste die spannenden Ausführungen. Gerne wünschen wir Julia von Ah weiterhin viel Erfolg, alles Gute und soviel Freude an ihrer Tätigkeit.

Bildlegende: Frau Prof. Dr. oec. publ. Julia von Ah, Professorin für Steuerrecht, begeisterte mit ihren kompetenten Ausführungen.

Text: Roland Gröbli

Bilder: Willy Bischofberger