Tages-Anzeiger – ALPHA DER KADERMARKT DER SCHWEIZ Interview mit Ulrike Clasen


«Wir interpretieren die Welt nicht mit der Bibel in der Hand»

26.10.2024

In der Vereinigung Christlicher Unternehmerinnen und Unternehmer(VCU) treffen sich seit 75 Jahren Führungspersönlichkeiten. Zentralpräsidentin Ulrike Clasen über die Bedeutung einer christlichen Wertebasis und weshalb VCU-Mitglieder nicht missionieren, sondern Vorbilder sein wollen.

Interview: Andreas Minder

Ihre Vereinigung schreibt sich die Werte Respekt, Fairness und Verantwortung auf die Fahne. Sie werden auch von nicht christlich gesinnten Menschen geteilt. Inwiefern ist es für Sie wichtig, dass sie christlich fundiert sind?
Ich glaube, es spielt schon eine Rolle, woher die Werte kommen, was ihre Quelle ist. Ich bin überzeugt, dass die Wertehaltung nicht eine reinmoralische und ethische Frage ist, sondern auch eine spirituelle Dimension hat, und dass man sich so in diesen Werten stärker verankert fühlt. Die Verankerung im christlichen Glauben macht die Menschen aufmerksamer für ihr eigenes Denken und Tun.

Woran merkt man, dass eine Firma von einer christlichen Unternehmerin geführt wird?
Wir sehen es daran, dass Entscheidungen eine umfassendere Betrachtungsweise zugrunde liegt. Dass nicht der schnelle Erfolg gesucht wird, dass man auf unethische Geschäftspraktiken verzichtet, dass Mitarbeitende nicht als Ressource, sondern als Menschen gesehen werden. Auch wenn es um Nachhaltigkeit und Naturschutz geht, erwarte ich– und beobachte das auch–,dass andere Entscheidungen getroffen werden. Es geht um Verantwortung gegen über der Schöpfung und darum, dass man auch entsprechend handelt und nicht nur ökonomisch motiviert ist. Statt Schöpfung können wir übrigens auch von Umweltsprechen. Wir müssen die Fahne «Ich bin Christ» nicht vor uns hertragen.

Was, wenn diese Haltung den Ansprüchen von Aktionären zuwiderläuft?
Es ist für mich schwierig, für andere zu sprechen. Aber ich habe immer die Hoffnung, dass die Wertebasis und deren Quelle in den Geschäftspraktiken unserer Mitglieder erkennbar sind.

Gibt es Tätigkeitsfelder, von denen Sie sagen würden, dass sie nicht mit der VCU kompatibel sind?
Wir haben keine Ausschlusskriterien, die besagen, dass gewisse Geschäftsfelder bei uns ausgeschlossen sind. Wir haben ja auch keine Geschäftsfelder in der Gemeinschaft, sondern Menschen. Das macht uns aus; dass Menschen, die unternehmerisch denken und handeln, sich bei uns austauschen und gemeinsam wachsen können. Wir sprechen darüber, wer in seinem Berufsumfeld was macht und was Respekt, Fairness und Verantwortung dabei bedeuten. Um diese Fragen geht es. Dass jemand in diesem Rahmen sagt: «Ich verschachere Waffen, an alle, die dafür zahlen», ist nicht vorstellbar. So jemand käme nicht zu uns. Wir haben niemanden in unseren Reihen, der in solchen Geschäftsfeldern tätig ist oder sonst ein scheinheiliges Verhalten an den Tag legt.

Vermutlich werden auch Firmen von christlich gesinnten Unternehmerinnen und Unternehmern zuweilen An gestellte entlassen müssen. Tun sie das anders?
In der modernen Arbeitswelt gibt es mehr und mehr selbstorganisierte Teams und viel Selbstbestimmung statt Hierarchien. Das bedeutet und bedingt, dass wir viel offener, transparenter und wertschätzender miteinander sprechen. Das passt zu einer christlich fundierten Wertebasis– und es macht unangenehme Entscheidungen für die Betroffenen zwar nicht leichter, aber hoffentlich nachvollziehbarer.

Wie sieht denn die tägliche Arbeit in einem nach christlichen Werten geführten Unternehmen aus? Fängt jede Sitzung mit einem Bibelspruch an?
Menschen, die auf einer christlichen Wertebasis stehen, sind nicht unreflektiert missionarisch unterwegs. Es ist vielmehr so, dass man uns am Vorbild erkennen soll. Und das ist eine tägliche Herausforderung. Wer sie ernst nimmt, der prüft sich und reflektiert sein Denken und Handeln.

Das Christentum gibt es in vielen Schattierungen. Wie positioniert sich die VCU?
Fundamentalisten, in welcher Religion auch immer, handeln ganz strikt nach ihren starren Lehren und haben Prinzipien, die oft mit unseren modernen Entwicklungen nicht unter einen Hut zu bringen sind. Und sie neigen dazu, zu moralisieren. Das finde ich in der VCU nicht. Unsere Mitglieder sind sehr offene, zukunftsorientierte Menschen. Sie klagen nicht über die Zustände, sondern sie gehen mutig voran mit Ideen. Sie nehmen soziale Veränderungen zur Kenntnis und sind immer bereit, sehr pragmatisch zu handeln. Wir diskutieren ethische und moralische Fragen, aber wir interpretieren die Welt nicht mit der Bibel in der Hand.

Ist die VCU auch ein wirtschaftliches Netzwerk, in dem man sich gegenseitig Aufträge gibt oder anderweitig unterstützt?
Das kann vorkommen, ist aber überhaupt nicht die Motivation. Der Zweck des Vereins ist es, miteinander den Austausch zu pflegen und eine Gemeinschaft zu leben. Es ist ein Ort, an dem man mit Gleichgesinnten über seinen Glauben und seine spirituelle Wirklichkeit reden kann. Oft geschieht das im Rahmen von Veranstaltungen, zu denen wir Referenten einladen. Ihre Inputs werden zum Ausgangspunkt für unsere Diskussionen. An einem Beispiel lässt sich zeigen, was daran VCU-spezifisch ist: Wenn wir uns das Thema Künstliche Intelligenz vornehmen, geht es bei uns nicht nur darum, was das für den Erfolg unseres Unternehmens bedeutet. Wir stellen auch die Frage: «Was macht das mit den Menschen? Was macht das mit der Gesellschaft?» Wir schaffen die Räume, in denen wir uns persönlich und vertrauensvoll darüber austauschen können.

75 Jahre VCU
Die Vereinigung Christlicher Unternehmerinnen und Unternehmer (VCU) wurde vor 75 Jahren gegründet. Die Organisation gliedert sich in sechs Regionalgruppen in der Deutschschweiz und zählt heute rund 400 Mitglieder. Sie treffen sich zu Tagungen, Referaten, Firmenbesuchen, Schulungen und gesellschaftlichen Anlässen. Die VCU hat 1968 die Stiftung «Swisshand» gegründet, die mit Mikrokrediten Frauen in Äthiopien, Uganda, Nigeria und Ghana unterstützt. Ulrike Clasen ist seit April dieses Jahres Zentralpräsidentin der VCU. Sie ist Gründerin und Inhaberin des Netzwerks Kadertraining, das im Bereich Personal- und Organisationsentwicklung tätig ist. www.vcu.ch