Mindful Leadership

Einatmen. Ausatmen. Führen.

In unruhigen Zeiten wie diesen fällt es schwer, gelassen zu bleiben und besonnen zu agieren. Zukunftsängste, Zweifel und Unsicherheit können lähmend sein. Um so wichtiger ist es für Menschen mit Führungsverantwortung, inne zu halten und sich zu fragen: Was ist wirklich wichtig und wie kann ich das Team, das Unternehmen oder die Organisation trotz stark veränderter Umstände erfolgreich durch die Krise führen?

Covid-19 hat zu einem unglaublichen Digitalisierungsschub geführt und stellt die Führung in Unternehmen vor grosse Herausforderungen. Plötzlich gilt es virtuelle Teams über Zoom zu führen. Professor Winfried Ruigrok von der Universtität St.Gallen hat sich intensiv mit dem Thema «Leading High Performance Teams in the Digital Age» beschäftigt und kommt in einem kürzlich erschienen Artikel zum Schluss: «Aufgrund der doppelten Hürde der  physischen Entfernung und der Kommunikationsbarrieren ist es für virtuelle Teams schwieriger, die Teamziele zu verstehen oder mit Teamkonflikten umzugehen. Unsere Untersuchungen legen nahe, dass sich Menschen in einem virtuellen Team auch eher isoliert fühlen. (…) Daher ist Führung in virtuellen Teams noch wichtiger als in physischen Teams.»

Doch digitale Tools alleine haben noch nie ausgereicht, um effektiv oder noch besser: exzellent zu führen. Es braucht mehr «Mindfulness» – Achtsamkeit.

Schon vor der Corona-Pandemie haben mehr und mehr Führungspersonen angefangen, sich für einen achtsamen Führungsstil zu interessieren. Was ist Achtsamkeit überhaupt und wie lässt sich dies in einer Organisation oder einem Unternehmen verankern? Zuerst einmal, um Missverständnisse klarzustellen: Bei Achtsamkeit geht es nicht um eine Religion, esoterisches Blabla oder spirituelle Erleuchtung. Es ist eine Methode zum Training einer mentalen Fähigkeit, die von den meisten Menschen kaum genutzt wird und deshalb bei vielen nur schwach ausgeprägt ist.

Führung durch emotionale Intelligenz

Achtsamkeit lässt sich unterschiedlich definieren. Ich bevorzuge die wissenschaftlich-pragmatische Variante ohne jeglichen esoterischen Chichi, wie vom amerikanischen Biologen John Kabat-Zinn beschrieben: Achtsamkeit bedeutet, im Hier und Jetzt zu sein, sich selbst, den eigenen Körper und die Umgebung bewusst wahrzunehmen und dadurch fokussierter und empathischer zu werden. Es geht im Weiteren darum, die eigene Wahrnehmung zu fördern und zu hinterfragen, Denkmuster aufzudecken, Vorurteile zu entdecken und aufzulösen, offen zu sein für Kreativität und Innovation. Trainieren lässt sich dies mit Atemübungen, Meditationen und Selbstreflexion.

Seit Google ein eigenes Mindfulness-Programm für seine Mitarbeitenden entwickelt hat, ist das Thema so richtig business-konform geworden. Meditierende Manager? Völlig normal in renommierten Unternehmen wie SAP und Bosch. Das Mindfulness-Programm von Google läuft unter dem Namen «Search Inside Yourself» (SIY) und soll vor allem die emotionale Intelligenz verbessern. Das Programm wurde 2007 in Zusammenarbeit mit weltweit führenden Neurowissenschaftlern entwickelt und soll Individuen fördern, Teams stärken und Unternehmen innovativ machen. SIY basiert auf neurowissenschaftlichen Erkenntnissen und kombiniert wirksame Achtsamkeitsübungen, um alle Bereiche emotionaler Intelligenz weiter zu entwickeln. Neben kognitiver Kompetenz ist die emotionale Intelligenz eine der Schlüsselfaktoren für beruflichen Erfolg und Leadership Kompetenz, heisst es bei Google.

Mehr Präsenz erreichen

Für die Autorin Janice Marturano zeichnen sich achtsame Leader vor allem durch die sogenannte «Führungspräsenz» aus, die sie verkörpern. Es ist nicht einfach das fachliche Können, das MBA, die Autorität oder das Ansehen, das jemanden zu einer guten Führungskraft machen. Es ist die Präsenz, die jemand als erfahrbare Eigenschaft ausstrahlt. Diese erfordert eine vollständige, nicht-urteilende Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Moment — was vom Gegenüber sichtbar und fühlbar ist. Was bedeutet dies ganz praktisch? Fragen Sie sich doch einmal: Nehmen Sie die Stimmung wahr, wenn Sie am Morgen ins Unternehmen kommen und können Sie diese richtig einordnen? Spüren Sie, wenn es Ihren Mitarbeitenden nicht gut geht? Hören Sie Ihren Mitarbeitenden im Gespräch wirklich mit Kopf und Herz zu, oder sind Sie gedanklich schon beim nächsten Meeting? Diese allgemeine Zerstreutheit, die wohl jeder von uns kennt, nennt man auch «partielle Aufmerksamkeit»: Wir sind stolz auf unsere Multitasking-Fähigkeiten und denken, wir sind super-effizient, indem wir während Sitzungen gleichzeitig Mails checken, unsere Meinung durchsetzen, ein Sandwich essen und geistig das nächste Meeting vorbereiten. Präsenz sieht anders aus.

Wenn Führungskräfte lernen, wirklich präsent zu sein, verändert dies automatisch ihren Führungsstil. Man kann auch sagen: «Nur wer sich selbst gut führt, kann auch andere gut führen.» Denn was bringt ein CEO, der sich selbst ins Burn-out manövriert? Der seine Mitarbeitenden ständig überfordert? Der das Team nicht spürt? Der das grosse Ganze nicht sieht und sich im operativen Dschungel verläuft? Sein kreatives Potential nicht vollständig nutzen kann? Beim Mindful Leadership geht es also auch darum, den persönlichen Führungsstil zu reflektieren: Was bedeutet Führung für mich? Was sind meine Werte in der Führung? Und wie will ich das in meinem Führungsalltag konkret umsetzen?

Einfach mal anfangen

Es ist nicht schwierig, mit Mindfulness anzufangen. Man muss nicht gleich einem Zen-Mönch nacheifern. So reicht es erst einmal, jeden Tag z.B. am Morgen 5 Minuten zu meditieren. Oder über sich selbst zu reflektieren und bewusst eine Intention für den Tag zu fassen. Dafür gibt es mittlerweile ausgezeichnete Apps, die einen dabei unterstützen. Das Ziel dabei: Den Geist zu trainieren, im Hier und Jetzt zu sein. Das stärkt die Präsenz. Und Präsenz führt zu Führungsexzellenz.

Um Achtsamkeit in einer Organisation zu verankern, braucht es vor allem eines: Geduld. Mitarbeitende sind schnell überfordert mit diesem Thema. Und es ist wohl keine gute Idee, plötzlich die Team-Meetings mit Klangschalen und einer Meditation zu beginnen. Gehen Sie es langsam und Schritt für Schritt an. Wichtig ist zuerst einmal, dass die Leader im Unternehmen das Thema selbst verinnerlichen und vorleben. Sonst wirkt das Ganze schnell aufgesetzt.

Wer sich jedoch konsequent auf dem Weg zu Mindful Leadership macht, für den lohnt es sich. Unternehmen, die auf Mindful Leadership setzen, profitieren gleich in mehrfacher Hinsicht: Bessere Stimmung im Team, ein klarer Kopf in stressigen Zeiten, mehr Offenheit für neue Ideen, mehr Fokus und vor allem: Resilienz — eine Art Widerstandsfähigkeit, die einen auch in schwierigen Zeiten nicht zusammenbrechen lässt. Also in Zeiten wie wir sie aktuell erleben. Fangen Sie doch einfach mal an. Hier. Jetzt.

Stefan Grob ist seit 20 Jahren als Kommunikationsberater und Unternehmer tätig, hat ein Executive MBA in St.Gallen absolviert und sich nebenbei zum Yogalehrer ausbilden lassen. Aktuell leitet er die schweizweit einzige inklusive Kommunikationsagentur ADVERY, in welcher rund 20 Lernende mit psychischen oder körperlichen Schwierigkeiten ausgebildet werden. ADVERY gehört zum Sozialunternehmen Brüggli in Romanshorn. 

Autoren:

Stefan Grob, Agenturleiter, Kommunikationsberater